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Das Phänomen Harry Potter – ein Buchtipp zu Nikolaus für Potter Fans?

Das Phänomen Harry Potter Cover

Das Phänomen Harry Potter kommt als Sachbuch daher und versucht den Anspruch zu erfüllen, die Magie hinter den Büchern zu enthüllen. Obwohl das Buch bereits 2009 in deutscher Sprache erschien, wurde es nicht häufig als Standardwerk wahrgenommen. Das mag daran liegen, dass es nicht im Heimatverlag der deutschen Harry Potter Bücher erschien und selbst im Edel-Verlag, welcher es schlussendlich auf deutsch veröffentlichte, es nur ins Kinder-Imprint edel kids geschafft hat. Dabei ist Das Phänomen Harry Potter bei weitem kein Kinderbuch, sondern eben ein Sachbuch, dass in Gesellschaft von Yakari, Barbie und Pettersson und Findus irgendwie deplatziert wirkt.

Vielleicht liegt es daran, dass das Buch nicht mit dem Medienrummel und der Lizenzkraft eines Carlsen-Buches aufwarten kann, dass es nicht so berühmt geworden ist, wie das Hauptwerk. Eine andere Erklärung könnte sein, dass jeder, der eine Potter-Story erwartet, meint, ein Sachbuch in den Händen zu halten und jeder, der ein Sachbuch erwartet, erstaunt ist, dass er eine Story zu lesen bekommt. Das Phänomen Harry Potter mag sich anfühlen, als sei es nicht Fisch und nicht Fleich, doch was es ist: lesenswert.

Das Phänomen Harry Potter Cover
Das Phänomen Harry Potter Cover

Die Geschichte eines Fans, der selbst zur Berühmtheit wird

Das Phänomen Harry Potter wurde von Melissa Anelli verfasst. Sucht man ihren Namen bei Amazon findet man nur ein einziges Buch, nämlich dieses. Melissa ist keine Sachbuchautorin und kein Roman-Genie, doch was Melissa ist, verrät sie uns schon im zweiten Kapitel ihres eigenen Buches: Ein Harry-Potter-Fan.

Melissa Anelli studierte Literatur an der Georgetown University und war Redakteurin der Uni-Zeitung. Dank ihrer Schwester, die meinte, sie brauche mehr als nur ihre Lehrliteratur als Lektüre, kam sie zu ihrem ersten Harry-Potter-Buch und begab sich damit in den Bann einer Geschichte über Toleranz und Liebe, wie sie selbst sagt. Dadurch wurde sie irgendwann zur Betreiberin einer der renommiertesten Harry-Potter-Fanpages, dem Leaky Cauldron.

Genau so, beginnt auch dieses Buch. Denn anstatt sperrig zu erklären, wie die Geschichte eines jungen Waisenknabens an einer Zauberschule die Popkultur beeinflusst haben könnte (was ich erst hinter dem Titel vermutete), nimmt Anelli ihre Leser an die Hand und beschreibt in blumiger Sprache, was hinter den Kulissen einer Fanpage-Redaktion passiert, wenn J.K. Rowling ankündigt, den letzten Band ihrer gefeierten Serie zu veröffentlichen. Das ist nicht nur lehrreich, sondern auch spannend.

Über Autorin, Buch und Film

Ab dem dritten Kapitel nutzt Anelli, was sie sich so hart erarbeitet hat. Obwohl Rowling im Vorwort angibt, wenig davon mitbekommen zu haben, was anfangs in diesem Internet über ihr Buch geschrieben wurde, sollte sie zwei junge Webmaster zu einem Exklusivinterview laden. Eine davon war Melissa Anelli. Aus dieser Verbindung schöpft die junge Autorin nicht nur Kraft, sondern viel Hintergrund- und Insiderwissen, das ihr keiner mehr nehmen kann, welches sie aber sachte und in angenehmen Dosen über ihr eigenes Buch verteilt. So kann Anelli erzählen, wie J.K. Rowling zu ihrem Namen kam, die ersten Skizzen zu Harry Potter auf einer langen Zugfahrt anfertigte, wie sich kein Verlag finden wollte, die Bücher zu verlegen und wie es dann doch dazu kommen konnte, dass in den USA eine Rekordsumme für die Rechte ausgerufen wurden. Sogar Geschichten darüber, wie Warner Bros. versuchte die Rechte zu erwerben und Rowling vorerst absagte, weiß Anelli fast so spannend und herzlich zu erzählen, wie Rowling den Kampf gegen den Troll in Harry Potter und der Stein der Weisen.

Über Musik und Podcasts und zurück

Über eine komplette Passage im Buch verliert sich Anelli dann in Schilderungen über Wizard-Rock, ihre Erfahrungen mit Harry and the Potters und ihre gemeinsame Tournee. Wie Anelli selbst dem Wizard-Rock verfallen ist, ist eine wieder eine dieser Geschichten, die einen schmunzeln lassen und die Spaß machen, wenn man dem professionellen Fangirl lauschen darf. Eine komplette Schilderung jedoch darüber, wie sich die Band gründete, sich Konkurrenz entwickelte und der Markt sich veränderte, bringt eine lange und karge Wüste der Unterhaltung ins Buch. Zum Glück versteht Anelli es, die juristischen Befürchtungen über Copyright-Verletzungen, Umgang mit Fans und Filmverleih und dem Kontakt zu J.K. Rowling, herzlich und spannend zu beschreiben, sodass man aus diesem Tal wieder herausgeholt wird. Eine Story darüber, wie der PotterCast das Format Podcast-Tour erfand (was noch zu beweisen wäre), rundet diese Schilderungen ab.

Endlich jedoch findet Anelli in ihren Schreibstil aus den ersten Kapiteln zurück und beschreibt uns, was in einer Gruppe Fans vor geht, die 3 Stunden vor Mitternacht vor einer Buchhandlung darauf warten, dass der langersehnte vierte Band heraus kommt. Geschichten über organisierte Lesewochenenden mit Freunden, Beichstühle zur Kritik des Materials und wütender Fans, die nach wenigen Seiten das neu erworbene Buch auf den Boden schmeißen und fluchen, unterhalten endlich wieder so gut, wie der Anfang des Buches.

Die Geschichte eines Fans

Und so soll es dann auch weiter gehen. In dem Buch, das im Original Harry, A History heißt (der Titel passt deutlich besser, als der schnöde Deutsche Titel), wird mit Herzblut, Verstand und liebe zum Detail die Geschichte einer Geschichte, aber vor allem, die Geschichte eines Fangirls erzählt, dass es irgendwann schafft, ihre selbst gewählte Gottheit zu treffen. Dabei geht es weniger um das Phänomen, als um den Prozess: Wie konnte ein Kinderbuch fast so bindend werden, wie eine Religion? Wie konnte es dazu kommen, dass Unmengen von (erwachsenen) Menschen ihr Leben nach einer Kinderromanreihe ausrichte?. Und wir konnte eine 21-jährige, schüchterne Studentin, zu einer gestandenen und starken Autorin werden? All diese Fragen beantwortet Anelli nicht im geringsten, doch sie nimmt uns mit und lässt uns beobachten, wie so etwas passiert.

Das Lesevergnügen ist für Potter-Fans sicher angenehm und für alle anderen unerträglich. Man muss schon selbst ein kleiner Fanatiker sein, um sich nicht bei jedem fünften Satz von Anelli mit der flachen Hand an die Stirn zu schlagen. Doch wer weiß, wie man Vielsafttrank braut oder eine Kürbis-Pie backt, dem wird auch dieses Buch spaß machen. Um also die Eingangsfrage zu beantworten: Ja – es handelt sich um ein gutes Geschenk, für jeden, der es noch nicht hat. Persönlich habe ich es als Hörbuch gehört, was ich nur absolut empfehlen kann.

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